Donnerstag, 16. Juni 2016

Lebensretter auf vier Pfoten



Anja Bräger mit Oskar vor dem Schloss Maxlrain
Es ist die Nacht von Freitag auf Samstag. 01.30 Uhr, Anja Bräger ist gerade im besten Tiefschlaf, als sie plötzlich von ihrem Alarmpiepser mit einem schrillen Ton aufgeweckt wird. Noch völlig benommen und schlaftrunken nimmt sie die Durchsage wahr: „Leitstelle Rosenheim, Einsatz für die Hundestaffel – Vermisstensuche!“.
Jetzt heißt es zuerst den Einsatzort mit der Rettungsleitstelle abklären, schnell die bereitgelegten Einsatzkleidung anziehen, Ausrüstung umschnallen, den Rettungshund wecken und mit dem Auto unter Beachtung „Sicherheit vor Schnelligkeit“ zum vereinbarten Treffpunkt fahren.
Anja Bräger (49), examinierte Anästhesie-Krankenschwester, lebt mit Ihrem Ehemann, Ihrem 13-jährigen Sohn und 2 Hunden in Maxlrain. Ihre Tochter (22) studiert und lebt in München.

In Aurich, Ostfriesland, aufgewachsen, führte sie ihr Lebensweg nach Oberbayern.

2006 machte sie sich als OP- und Anästhesie-Schwester selbstständig und arbeitete, je nach Anforderung, in Kliniken und Krankenhäusern im Landkreis Rosenheim und München.

2004 kam der erste Australien Shepherd „Moritz“ zur Familie. Seit 2007 ist sie im Besitz einer liebenswerten Australian Shepherd-Hündin (Emmy). 2012 brachte Emmy sieben Welpen zur Welt. Kurz nach der Geburt der Welpen musste Moritz eingeschläfert werden. Es dauerte nicht lange, bis in der Familie der Entschluss viel, einen dieser Welpen zu behalten.

Schnell war sich die Familie über die Namensgebung für diesen verschmusten Welpen einig. Der kleine Rüde sollte „Oskar“ heißen. Dies deshalb, da einer seiner ersten selbständigen Wege direkte zum Mülleimer führte, so wie Oskar aus der Sesamstraße, der in einer Mülltonne lebt. Die Familie Bräger war sich sofort einig: Ihr Welpe muss „Oskar“ heißen.

In den ersten drei Monaten seines jungen Lebens entwickelte sich der temperamentvolle Oskar prächtig. Aufgrund ihrer Kontakte zu den Maltesern stellte sich Frau Bräger mit Oskar bei der Malteser Rettungshundestaffel (RHS) vor.

Oskar im Alter von 3 Monaten Foto: Bräger
Bei Ihrem noch sehr jungen Aussie (Abkürzung für Australian Shepherd) konnte schon nach kurzer Zeit von den Trainern festgestellt werden, dass Oskar die besten Voraussetzung für einen     Rettungshund mitbrachte. Er ist temperamentvoll, lernfreudig und gut   motivierbar. Außerdem verfügt er über einen ausgeprägten Spieltrieb. Diese Eigenschaften sind grundlegend für eine spätere Ausbildung zum Rettungshund (RH).

Aber nicht nur die geforderten Voraussetzungen für den Hund müssen erfüllt werden, auch der Hundeführer muss bestimmte Voraussetzungen erfüllen.

Unter anderem benötigt er viel Idealismus, um auch bei Wind und Wetter mit seinem Hund zu arbeiten, Freude an der Teamarbeit, die Bereitschaft sich ehrenamtlich zu engagieren und Menschen in Not zu helfen und nicht zu Letzt muss er physisch und psychisch stabil und belastbar sein.

Nachdem alle Voraussetzungen für Oskar und Anja Bräger erfüllt waren, stand einer Ausbildung zum Rettungshund „Fläche“ nichts mehr im Wege. Ab sofort hieß es für Oskar und sein Frauchen: trainieren, trainieren und nochmals trainieren.

Zunächst musste Oskar in einer Hundeschule lernen, die wichtigsten Anweisungen seines Hundeführers zu verstehen und zu befolgen. Dies fiel ihm in den meisten Fällen leicht.

Jeder Hundeführer ist für die Gehorsamsausbildung seines Hundes selbst verantwortlich.

Bereits mit 15 Monaten hat Oskar die Begleithundeprüfung in der Hundeschule erfolgreich abgelegt.

Jetzt begann für Oskar die Ausbildung zum Rettungshund.Das Ziel der Ausbildung sollte die Prüfung zum RH  „Fläche“ sein. Der Hund muss mit seinem Hundeführer Flächen im Gelände (z.B. Wälder, Wiesen, Felder) in einem vorher abgegrenzten Bereich (ca. 30.000 – 50.000 m2) absuchen, um vermisste Personen zu finden.

Weiterhin gibt es den Fachbereich „Trümmer“. Hunde mit dieser Ausbildung werden im Bereich von Erdbeben oder sonstig eingestürzte Gebäude (z.B. Einsturz der Eislaufhalle am 02. Januar 2006 in Bad Reichenhall) eingesetzt.

Bei Oskars Ausbildung wird die Freude am Stöbern und Suchen gefördert. Damit der Hund seinen Spaß daran nicht verliert, wird er immer belohnt. Diese „positive Verstärkung“ erhält er in jedem Fall, gleichgültig ob seine Aufgabe zum Erfolg führte oder nicht. Die Belohnung kann sehr unterschiedlich ausfallen. Zum Einen kann es sein Lieblingsleckerli sein, zum Anderen ein heißgeliebtes Spielzeug, das je nach Hund unterschiedlich ist. Es zählt nur der Erfolg mit positiver Verstärkung durch Belohnung!

Bei der RHS der Malteser in Neckar-Enz legte Oskar mit seiner Hundeführerin, Anja Bräger, im April 2015 die Prüfung zum Rettungshund „Fläche“ mit Bravour ab.

Nach bestandener Prüfung:
Erkennungsmarke „Rettungshund“
Die Durchfallquote bei der praktischen Prüfung liegt bei ca. 60%. Dies lässt auf die hervorragenden Leistungen eines jeden aktiven Rettungshundes schließen.

Als äußeres Erkennungszeichen für den erfolgreichen Abschluss darf der Hund nun die Erkennungsmarke „Malteser  Rettungshund“ tragen.

Alle 18 Monate muss diese Prüfung für den Rettungshund und seiner Hundeführerin wiederholt werden.

Aber auch der Hundeführer ist zur Fortbildung verpflichtet. Grundsätzlich sind als Ausbildungsinhalte folgende Bereiche zu absolvieren: Die Ausbildung zum Einsatzsanitäter (mindestens 80 Unterrichtsstunden), die Bereiche Technik – Sicherheit – Logistik, Funkausbildung, die Kynologie (Lehre von Hunderassen, Zucht, Pflege, Verhalten, Erziehung und Krankheiten von Hunden), Orientierung im Gelände (der Umgang mit Kompass, Karte und GPS) und die Betreuung von Personen nach Katastrophen oder großen Schadensereignissen. Dies sind die Grundvoraussetzungen für einen erfolgreichen Einsatz.
Im Interview erzählte mir Frau Bräger von einigen bemerkenswerten Einsätzen.

Einer ihrer schönsten Einsätze war ein abendlicher Einsatz am Chiemsee. Sie wurde mit Oskar und zwei weiteren Rettungshundeteams zur Suche nach einer vermissten Person gerufen. Der abzusuchende Bereich für einen der drei Malteser Rettungshunde war ca. 40.000 m2 groß und befand sich in einem Waldgebiet. Nach ca. 50 Minuten hatte einer der Rettungshunde die Person lebend gefunden. Sie wurde vom Suchteam erstversorgt und der Polizei und dem Rettungsdienst übergeben.



Anja Bräger gibt „Oskar“
das Kommando zum Suchen
„Such und Hilf!“
Einer der gefährlichsten Einsätze war für Frau Bräger und ihrem Aussie eine Personensuche im Bereich der Ortschaft Ainring im Lkr. Traunstein. Das Suchgebiet lag in einem sehr unwegsamen Waldgebiet an einem äußerst steilen Berghang. Für die Hundeführer war dieses Gelände sehr gefährlich. Sie mussten teilweise auf allen Vieren den rutschigen Hang erklimmen, dabei den Hund beobachten und gleichzeitig nach der vermissten Person suchen. Trotz langer und anstrengender Suche verlief der Einsatz erfolglos. Erst ein hinzu gerufener Mantrailer- Hund fand die Person. Leider kam jede Hilfe zu spät.

Bei dem schweren Zugunglück in Bad Aibling Faschingsdienstag 2016, waren die Malteser Hundeführer, zur Betreuung der leichtverletzten und traumatisierten Fahrgäste eingesetzt. Für alle Helfer eine psychisch sehr belastende Aufgabe.

Auch zur Betreuung von ankommenden Flüchtlingen halfen die Hundeführer der Rettungshundestaffel in der Anfangsphase bei der Bundespolizei tatkräftig mit.

Die RHS steht 365 Tage im Jahr 24 Stunden am Tag zur Verfügung. Häufig sind die Einsätze spät am Abend oder mitten in der Nacht. Aber auch tagsüber kommt es zu Suchaktionen. Meist werden demente oder suizidale Personen sowie Kinder vermisst.

Im vergangen Jahr musste die Malteser Rettungshundestaffel Rosenheim insgesamt 37 Mal zur Personensuche ausrücken, im Durchschnitt alle zehn Tage.

Zu Einsätzen, bei denen die Polizei nach Straftätern sucht, werden die Hunde der RHS nicht gerufen. In solchen Fällen müssen speziell ausgebildete Polizeihunde ihr Können beweisen. Für die Hundeführer der RHS wäre dies ein zu großes Risiko.

Die Anforderung der Rettungshundestaffel erfolgt grundsätzlich durch die Polizei und der alarmauslösenden Integrierten Leitstelle (ILS) Rosenheim.

In der Regel ist eine Zusammenarbeit mit anderen Organisationen, wie z.B. Feuerwehr, Polizei, Rettungs- und Polizeihubschrauber mit Wärmebildkamera sowie anderen Rettungshundestaffeln erforderlich.

Wie auch der Hundeführer hat der Rettungshund eine ganz spezielle Ausrüstung. Bei einem Einsatz trägt der Hund eine reflektierende Kenndecke mit der Kennung „Malteser“, an der auch ein Glöckchen und ein rotes Licht angebracht sind. Dies ist zum Schutz des Hundes erforderlich, damit andere Personen, die an der Suchaktion beteiligt sind, den Hund als Rettungshund zweifelsfrei erkennen.

  
Oskar mit Kenndecke und Glocke
Ferner trägt der Hund ein Befreiungshalsband mit integrierter Leine, das vom Hundeführer mit einem Klick geöffnet werden kann.Jeder Hundeführer trägt beim Einsatz einen Helm mit Stirnlampe und einen Einsatzrucksack mit einer Erste-Hilfe-Ausrüstung sowie einer kleinen Verpflegung für den Hundeführer. Die Tätigkeit als Hundeführer ist ein Ehrenamt.



Ab 16 Jahren kann man Mitglied in der Rettungshundestaffel werden. Eine Prüfung mit seinem Hund ist jedoch erst mit 18 Jahren möglich.

Natürlich gibt es auch Hunde, die nicht als Rettungshund geeignet sind. Hier kann aber auch ein anderes Einsatzgebiet genau das Richtige für diesen Hund sein. Es gibt viele Möglichkeiten. Leider in Süddeutschland nicht so sehr verbreitet sind Therapiehunde, die sich mit ihren Hundeführern in Krankenhäuser begeben, um hier schwer und schwerstkranke Kinder zu besuchen, um diese für ein paar Stunden ihre Krankheit vergessen zu lassen. Auch Besuchshunde, die in Altenheimen oder Kindergärten eingesetzt werden, um hier ältere Menschen eine Abwechslung im Alltag zu bieten und Kindern den „Hund“ näher zu bringen.

Sehr ruhige und kinderfreundliche Hunde können dafür eingesetzt werden, dass der Hund zu  Kindern mit Leseschwäche kommt, sich zu ihnen „setzt“ und die Kinder dem Hund Geschichten vorlesen. Es gibt Erfahrungswerte, die zeigen, dass diese Kinder dadurch schneller und besser lesen lernen. Ein Hund verbessert das Kind nicht, ein Hund hört einfach nur zu, im Gegensatz zu uns Menschen.

Die Malteser RHS ist im Ferienprogramm von Raubling, Brannenburg und Rohrdorf aktiv. An einem Tag in den Ferien sind sie mit einer Tierärztin vor Ort und zeigen den Kindern, wie man sich einem Hund annähert, ihn richtig streichelt und mit ihm spielt. Ein abschließendes Suchspiel (verstecken) mit dem Hund ist immer das Highlight des Tages für alle Kinder. Auch für Essen und Trinken wird durch die RHS gesorgt.

Auf die Frage an Frau Bräger, welches ihre Ziele und Wünsche für die Zukunft sind, antwortet sie wie aus der Pistole geschossen:

Ihr größter Wunsch ist, dass ihr oder ein anderer Hund keinen Giftköder aufnimmt. Vor dieser Gefahr ist auch ein „Lebensretter auf vier Pfoten“ nicht gefeit. Alle Rettungshunde suchen im Einsatz selbständig und somit ohne Leine im Gelände. Niemand kann garantieren, dass ausgelegte Giftköder rechtzeitig erkannt und somit nicht aufgenommen werden. Ein aufgenommenes Gift hat fatale Folgen: Der Hund, der zum Lebensretter wird, benötigt nun selbst einen Lebensretter, um nicht qualvoll sterben zu müssen.


Weiterhin wünscht sich Anja Bräger, dass sie noch lange Zeit mit ihrem Oskar viele Einsätze bewältigen kann, denn es ist für beide eine sinnvolle, abwechslungsreiche und befriedigende Beschäftigung. Anderen zu helfen ist eine wunderbare Aufgabe.


Tipps für Menschen, die sich einen Hund anschaffen wollen:


  • Machen sie sich Gedanken über die Rasse. Passt der Hund zu mir/meiner Familie?
  • Kann ich seinen Bedürfnissen gerecht werden?
  • Ich bin berufstätig. Wie lange muss der Hund allein bleiben?
  • Kaufen sie nur einen Hund von einem seriösen Züchter. Hilfe geben die bundesweiten Hundevereine.
  • Fragen sie im Tierheim nach einem passenden Hund für sie. Die Mitarbeiter helfen ihnen gerne weiter.
  • Eine Hundeschule ist unbedingt aufzusuchen, um mindestens die Grunderziehung und die Sozialisierung des Hundes richtig zu machen. Dies stärkt die Bindung zwischen Hundebesitzer und Hund. Ein lebenslanges Vertrauen ist damit vorprogrammiert.
  • Denken sie auch an die Kosten für Hundeschule, Tierarzt, mögliche Operationen und ähnliches.
  • Lassen sie immer ihren Hund „Hund“ sein. Das bedeutet für den Hund freies herumtoben, spielen, rennen etc.
  • Denken Sie auch daran, dass der Hundekot stets zu beseitigen ist. Durch diese kleine Maßnahme verhindern Sie, dass sich andere hierrüber ärger müssen. Ein harmonisches Miteinander ist so vorprogrammiert.
Text und Fotos (wenn nicht anders angegeben) von Dieter Karlowsky 
Dieser Artikel wurde bereits in der "Freien Gemeindezeitung Tuntenhausen" veröffentlicht.

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